LIEDERLUST ♪ 7 – Da Jaga tragt an greana Huat

Zu unserem zweiten LIEDERLUST-Lied in diesem Jahr fallen mir spontan viele Adjektive ein: geheimnisvoll, tragisch, stolz, gemein, märchenhaft. Vieles bleibt in dieser vielstrophigen Ballade im Dunkeln, bleibt ungesagt und der eigenen Interpretation überlassen. Und das ist gerade das Schöne: das Wichtigste in diesem Lied findet sich zwischen den Strophen, es wird nur angedeutet oder bleibt ungesagt und lässt so Raum für die eigene Phantasie. Aber es gibt auch eine Art „Code“, d.h. es werden Metaphern, also Bilder eingesetzt, die einiges erschließen, wenn man deren Bedeutung kennt. Aber dazu später mehr.
Die Ballade „Da Jaga tragt an greana Huat“, die wir heute mit euch singen wollen, ist eine Aufzeichnung aus Josephinental, einer steirischen Siedlung im Banater Bergland in Rumänien. Die großartige und sehr liedkundige Sängerin Anni Loidl hat dem Münchner Volkskundler Wolfgang A. Mayer bei einer seiner ersten Forschungsfahrten im August 1967 dieses ganz besondere Lied vorgesungen. Der Reiz dieser vielstrophigen Ballade liegt nicht nur in der Geschichte, die darin erzählt wird, sondern auch in der ungewöhnlichen Mollmelodie.

Viele Erzählstoffe von Balladen knüpfen an mittelalterliche Literatur an. Es ist ein Liedtypus, der, laut Johann Wolfgang von Goethe, Episches, Lyrisches und Dramatisches miteinander verbindet. Beliebte Themen sind der Gegensatz zwischen Arm und Reich oder der Unterschied der Stände. Historische Ereignisse wie z.B. die tragische Geschichte der Agnes Bernauerin können genauso abgebildet werden, wie erfundene Schauergeschichten wie die des Mädchenmörders, oder auch literarische Stoffe der Antike wie die der Königskinder. Durch die mündliche Überlieferung entstanden eine Vielzahl an verschiedenen Varianten der oftmals gleichen Erzählungen im ganzen deutschen Sprachraum. Zum Teil waren Balladentypen mit gleichem Inhalt in ganz Europa verbreitet. Wer noch mehr erfahren möchte, findet bei Wikipedia einen sehr detailreichen Artikel zu diesem Thema.

Auch in Bayern wurden Balladen bis in unsere Tage gesungen und mündlich weitergetragen. Durch Wiederholungen beim Text kann man meist schnell mitsingen und durch die vielen Strophen entwickelt sich eine ganz eigene Dynamik. So auch bei der von uns vorgestellten Ballade „Da Jaga tragt an greana Huat“. Ein Vorsänger oder eine Vorsängerin beginnt und bei der Textwiederholung steigen dann die anderen mit ein. Dieses Vor- und Nachsingen ist eine Möglichkeit. Wir haben uns diesmal dafür entschieden, dass wir den Vorsängerpart immer alle zusammen unisono singen.

Aber nun, wie versprochen, noch ein paar Anmerkungen zum Inhalt der Ballade. Ich habe hier das Standardwerk „Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker“ von Werner Danckert zu Rate gezogen:
In der ersten und zweiten Strophe wird ein Jäger vorgestellt. Das Attribut des Jägers, der grüne Hut, ist hier auch noch mit zwei weißen Federn verziert, die mit Gold beschlagen sind. Danckert schreibt hier: „Fast überall, wo das Volkslied die Sphäre des Märchenhaften aufklingen lässt, zeigt sich auch die Neigung zur „Vergoldung“ der nüchternen Alltagswirklichkeit“. Das lässt auch schon vermuten, dass es keine gewöhnliche Jagd ist, auf die unser Jäger in den Wald bzw. ins Gsträuch hinauszieht. Diese Jagd hat offensichtlich einen erotischen Hintergrund, denn er jagt kein Wild, sondern er jagt ein Mädchen.


Die Idee, die Liebeswerbung eines Mannes um eine Frau durch das Bild einer Jagd darzustellen, ist seit dem Mittelalter ein beliebtes Motiv und ging auch in die Volksdichtung ein. So auch in unserer Ballade, wo es in der 3. Strophe heißt: Da Jaga jagt ins Gsträuch hinaus, er jagt ein schwarzbrauns Mädelein. Und hier findet sich auch schon eine weitere wichtige Metapher – das schwarzbraune Mädelein. Hier ist mitnichten die Haar- oder die Hautfarbe gemeint, sondern soll Ausdruck dafür sein, dass dieses Mädchen erotisch ansprechbar ist. Schwarz oder schwarzbraun steht für das Eroshafte.
In den folgenden Strophen entspinnt sich ein interessanter Dialog zwischen dem Jäger und seiner Mutter, zu der er das eroberte Mädchen mitbringt. Der Jäger stellt seiner Mutter das Mädchen vor und sie kommentiert ziemlich heftig: „Was bringst du für ein wildes Schwein!“ Merkwürdig, was soll das bedeuten? Werner Danckert konnte mir hier leider nicht weiterhelfen, mir ist aber ein Märchen der Gebrüder Grimm eingefallen, in dem eine Szene vorkommt, die mich an diese Liedstrophe erinnert. Im Märchen vom ‚Allerleirauh’ versteckt sich eine Königstochter im Wald, getarnt durch einen Mantel „aus tausenderlei Pelz und Rauchwerk zusammengesetzt“. Sie sieht durch diese Verkleidung also eher aus wie ein Tier als wie ein Mensch. Vielleicht lässt sich der Ausruf vom ‚wilden Schwein’ so interpretieren? Diese Vorstellung gefällt mir jedenfalls besser als die einer eifersüchtigen zukünftigen Schwiegermutter, die mit ihrem boshaften Ausruf schon mal ihr Revier absteckt. Aber das kann jeder für sich selbst entscheiden. Vielleicht habt ihr ja auch noch eine andere Idee?!
Klar ist jedenfalls, das Mädchen ist nicht freiwillig mitgegangen und sie will auch nicht bleiben, allem Werben des Jägers zum Trotz. Die besten Speisen und Getränke werden aufgetischt, aber die „Schöne will net lustig sein“. Sie will frei sein und frei bleiben, deshalb auch ihre Frage, ob sie „an greana Kranz“ tragen darf. Dieser Kranz steht für die Jungfräulichkeit, die Jugend und in diesem Zusammenhang sicher auch für ihre Unabhängigkeit. Doch der Jäger will sie nicht gehen lassen, im Gegenteil, sie soll ihn heiraten, also unter die Haube kommen („Du muasst a weiße Haubn aufhabn, die alle Jagersfrauen tragn). Das kommt für das gefangene Mädchen überhaupt nicht in Frage und voller Stolz erwidert sie: „Ei, liaber ich versinke ganz, als ich verlier mein Jungfernkranz!“
Hier endet das Lied. Es gibt keine Auflösung. Der Schluss der Geschichte bleibt im Dunkeln.

Und nun lasst eurer Phantasie freien Lauf, werft euer Kopfkino an und singt mit uns die Ballade vom Jaga mit dem greana Huat. Wir wünschen euch viel Freude damit!

Da Jaga tragt an greana Huat 2 – Partitur

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