LIEDERLUST ♪ 41 – Dort oben auf dem Ölberg

Viele unserer Lieder haben wir von älteren Sängerinnen und Sängern gelernt. So auch das eindrucksvolle Legendenlied ‚Dort oben auf dem Ölberg’. Vorgesungen hat es uns Franziska Säckl (1944 – 2020) aus Augsburg. Das Lied hat allerdings eine weite Reise hinter sich – von Ungarn nach Deutschland, genaugenommen von Soroksár nach Augsburg. 

Soroksár liegt in der Pester Ebene direkt bei Budapest und war bis zum zweiten Weltkrieg neben Ungarn und Slowaken auch mit Deutschen besiedelt. Infolge des zweiten Weltkrieges wurden allein in Soroksár 3898 Ungarndeutsche vertrieben. So auch die zweijährige Franziska mit ihren Eltern. Mit im Reisegepäck hatten die singfreudigen Eltern einen reichen Liederschatz, den sie auch in ihrer neuen Heimat Augsburg pflegten.

Für ihre Eltern war Singen ein Lebenselixier. Viele Erlebnisse aus der alten Heimat kennt Franzi nur aus den Erzählungen der Eltern. Sie selbst war ja noch ein kleines Kind. Hier erzählt sie davon:

Vor allem ihre Mutter hat den Keim für die Singbegeisterung von Franzi gelegt, und von ihr hat sie auch viele interessante Lieder aus der ungarndeutschen Heimat gelernt. Es gab kein Familientreffen, bei dem nicht gesungen wurde – deutsche und auch ungarische Lieder.

Das Ölberglied, das wir euch heute vorstellen möchten, ist kein Passionslied im engeren Sinne, sondern ein Legendenlied – es wird eine Geschichte rund um die Leidensgeschichte Jesu erzählt, in der seine Mutter Maria im Mittelpunkt steht. Sie träumt mit dem kleinen Jesus auf dem Schoß davon, was ihrem Sohn einmal widerfahren wird. Solche Legendenlieder waren in der Volksüberlieferung sehr beliebt und auch weit verbreitet. Eine ganz ähnliche Fassung des von Franzi Säckl gesungenen Ölbergliedes findet sich in der Sammlung ‚Geistliche Lieder der Deutschen aus Südosteuropa’ von Konrad Scheierling (Kludenbach 1987). Als Fundort ist das Ofener Bergland angegeben, also ganz in der Nähe, wo auch Franzis Eltern herkommen. Die Variante, die Franzi von ihrer Mutter gelernt hat, ist sehr interessant und unterscheidet sich von der abgedruckten Fassung nicht nur im Text, sondern auch in der Melodieführung. Die Strophen werden mit zwei verschiedenen Melodievarianten gesungen, was das Ganze sehr lebendig macht.

Mit dem Ölberglied verbindet Franzi eine ganz besondere Geschichte. Sie erzählte uns bei einem Gespräch im März 1991, dass sie das Lied von ihrer Mutter gelernt hat, die es wiederum von ihrer Mutter gelernt hat. Beide haben die letzte Strophe ‚Und wer das Liedlein singet, jeden Freitag einmal, den wird Gott belohnen im himmlischen Saal’ ganz wörtlich genommen und das Lied jeden Freitag, am liebsten beim Bettenmachen, gesungen. So hat es wiederum Franzi gelernt.

Franziska Säckl (geboren 1944 in Soroksár, gestorben 2020 in Augsburg)

Hier singt Franziska Säckl das Ölberglied, das sie von ihrer Mutter gelernt hat.

Offenbar hat sich das Singtalent und der besondere Liederschatz der kleinen Franzi in der Nachbarschaft herumgesprochen und so wurde sie oft aufgefordert, doch ein Lied vorzusingen z.B. beim Zeitungaustragen. Nachfolgend erzählt sie davon. Das Ölberglied hat sie auch anderen Mädchen gelernt, damit sie es bei einer Andacht vorsingen konnten.

Jetzt habt ihr hoffentlich Lust bekommen, das Ölberglied auch selbst einmal zu singen. Wir haben allerdings die letzten beiden Strophen weggelassen. Wir finden, so kann man es dann auch bei einem Passionssingen vortragen. Aber das könnt ihr selbst entscheiden, wie es für euch passt. Auf dem Liedblatt findet ihr auch die anderen Strophen, die uns Franzi vorgesungen hat. Damit ihr beide Melodievarianten lernen könnt, singen wir euch bei den Einzelstimmen immer die erste und die zweite Strophe vor.

Der eindrucksvolle Kalvarienberg, den ihr auf dem Titelbild seht, befindet sich auch in Ungarn und zwar in Magyarpolány, einem donauschwäbischen Dorf im Bakonywald (etwa 150 km südwestlich von Budapest). Der Kalvarienberg wurde Ende des 18. Jahrhunderts angelegt und führt mit 153 Treppenstufen hinauf zur Kapelle der Schmerzensmutter.
Im Januar war ich zu einem Tanzabend eingeladen, der in  Magyarpolány stattgefunden hat. Die Kapelle ‚Die klaane Hupf’, die ich beim drumherum in Regen 2022 kennengelernt habe, hat dort gespielt und gesungen. Es war ein unvergessliches Erlebnis mit vielen interessanten Begegnungen, die ich während meiner Reise machen durfte. Doch das ist eine andere Geschichte, die euch bald erzählen werde.

Wir wünschen euch nun viel Freude beim Zuhören, Lernen und Mitsingen!

Dort-oben-auf-dem-Oelberg

Hier können Sie das Liedblatt herunterladen: Dort oben auf dem Ölberg

Alle Beiträge zur LIEDERLUST finden Sie HIER.

Veröffentlicht von

Dagmar Held

Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben

2 Gedanken zu „LIEDERLUST ♪ 41 – Dort oben auf dem Ölberg“

  1. So schön unsere geliebte Franzi zu hören,war diese Woche an ihrem Grab,vor 4 Jahren haben wir uns von ihr verabschiedet.
    „Erinnerungen,die unser Herz berühren ,gehen niemals verloren“
    Danke!
    Gruss Hildegard

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