LIEDERLUST ♪ 37 – Wir wollens vergnügt und einsam leben

Wir wollens vergnügt und einsam leben – dieses Wirtshauslied aus dem Kesseltal hat in seiner Pragmatik schon fast philosophischen Charakter. Betrachtet man nur diese erste Zeile, dann beschreibt allein schon das kleine und etwas altmodische Wort ‚vergnügt’ einen ganzen Gemütszustand. Im Wörterbuch finden sich dazu viele schöne Umschreibungen: beglückt, beschwingt, gut gelaunt, in fröhlicher, heiterer, zufriedener Stimmung – um nur ein paar zu nennen. In diesem Zusammenhang ist wohl auch das Wörtchen ‚einsam’ eher positiv zu verstehen – einfach ganz mit sich allein zufrieden und froh sein. Wer würde sich das nicht wünschen?

Vorgesungen haben mir das Lied 1991 zwei Sänger aus dem Kesseltal, es war sozusagen eins ihrer Leib- und Magenlieder. Heiner Thum (*1930) und Hermann Schröppel (*1938) aus Forheim waren nicht nur Singkameraden, sondern auch Freunde fürs Leben. Ich seh sie noch sitzen und sich gegenseitig ansingen – voller Singlust und Power. Das war einfach nur mitreißend. Ein gewisser Schalk und Witz blitzte auch immer durch. Viele ‚vergnügte’ Stunden habe ich im Wirtshaus mit ihnen und den anderen Kesseltaler Sängern verbracht. Ich habe ja schon öfter davon erzählt.

Heiner Thum (ganz links) und Hermann Schröppel (ganz rechts) in ihrem Element!

Soweit ich weiß, ist dieser Beleg aus dem Kesseltal, die einzige Aufzeichnung aus mündlicher Überlieferung, die in Bayern gelungen ist, also ein richtiges Unikat. In der gedruckten Literatur kann man dagegen fündig werden. Im Standardwerk ‚Deutscher Liederhort’ von Ludwig Erk und Franz Magnus Böhme (Leipzig 1894) ist unter dem Titel ‚Ohne Sorgen’ eine Variante des Liedes abgedruckt, allerdings nicht aus Bayern. Die Melodie ist sehr ähnlich, vom Text stimmt im Prinzip nur die erste Strophe überein. Wobei das Ende dieser Strophe in der Kesseltaler Variante wesentlich origineller ist: Aber ja doch wir beide, wir kümmern uns nix!
Interessant ist auf jeden Fall, dass auch in der schriftlichen Aufzeichnung ein Wechselgesang dokumentiert ist – in der Art und Weise, wie es auch die Kesseltaler Sänger praktiziert haben. Als Fundort ist Bettenhausen in der Wetterau (Mittelhessen, aufgezeichnet 1890) und Würges im Taunus (aufgezeichnet 1879) angegeben. Wie das Lied ins Kesseltal gekommen ist, woher die dort gesungenen Strophen stammen, das bleibt allerdings im Dunkeln.

Faksimile aus dem Deutschen Liederhort von Ludwig Erk und Franz Magnus Böhme (Leipzig 1894).

‚Wir wollens vergnügt und einsam’ leben ist ein tolles Beispiel, wie Lieder weitergetragen werden und auch, wie sie sich im Laufe der Zeit und ihres ‚Gebrauchs’ verändern und entwickeln. Die Weitergabe von Ohr zu Ohr ist eben kein statischer Prozess. Veränderungen gehören hier einfach dazu und oftmals entsteht dadurch sogar etwas Besseres oder Originelleres – sei es durch einen Verhörer oder eine Gedächtnislücke, die kreativ gefüllt wird. So bleiben die Lieder auch lebendig.

Maximilian Held prüft den Klang – passt!

Als Aufnahmeort haben wir uns ein (vermeintlich) ruhiges Plätzchen gesucht – ein schönes, altes Bauernhaus bei Lektors Garten in Oberwiesenbach (Lkr. Günzburg). Wir bedanken uns recht herzlich, dass wir dort filmen durften. Einsam waren wir dort leider nicht. Es gibt einfach immer soviel zu tun auf dem Lande und leider ist es auch meistens mit Lärm verbunden – Heu wenden mit dem Bulldog, Rasen mähen, mit dem Motorrad spazierenfahren, mit dem Motorflieger Runden drehen und, und und. Aber wir sind vergnügt geblieben und haben es schließlich doch geschafft, das Lied ohne größere Hintergrundgeräusche aufzunehmen.

Wir wünschen euch nun ebenfalls viel Vergnügen beim Lauschen, Lernen und Mitsingen.

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Das Liedblatt können Sie hier herunterladen: Wir wollens vergnügt

Alle Beiträge zur LIEDERLUST finden Sie HIER.

Veröffentlicht von

Dagmar Held

Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben

Ein Gedanke zu „LIEDERLUST ♪ 37 – Wir wollens vergnügt und einsam leben“

  1. Liebe Dagmar,
    ein wunderbar aufmunterndes Lied! Inhaltlich und musikalisch einladend ☺️. Danke fürs Aufbereiten und Teilen!
    Marianne Günl

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