Die Deandln vom Woid habn a Herz als wia s’Gold – Feldforschung als Fundgrube überlieferter Lieder

Viele deCOVERr liabsten Liader wurden bei Feldforschungen aufgezeichnet, wie z.B. die schöne niederbayerische Ari „Aber eantadhoi der Doana“. Im Nachfolgenden könnt ihr einen kleinen Einblick in die Feldforschungsarbeit gewinnen, die für uns immer wieder Quelle und Inspiration ist.

Unter Feldforschung im soziologischen und volkskundlich-wissenschaftlichen Sinn wird „die systematische Erforschung von Kulturen oder bestimmten Gruppen verstanden, indem man sich in deren Lebensraum begibt und das Alltagsleben der Menschen zeitweise teilt. Mithilfe eines oder mehrerer Informanten und durch gezieltes Fragestellen sowie teilnehmende Beobachtung werden wissenswerte Informationen über die betreffende Kultur oder Gruppe gesammelt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Feldforschung aufgerufen am 16. Januar 2018)

Gerade das Volkslied ist ein typisches Untersuchungsgebiet volkskundlicher Feldforschung gewesen, national wie international. Dennoch trifft der Begriff nur sehr eingeschränkt auf unsere Feldforschungen zu. Es ist vielmehr ein Sammeln mehr zufällig angetroffener Lieder oder möglichst ergiebiger Quellen. Systematische Erforschung findet nicht statt, die Vorgehensweise ist sehr individuell. Aber immerhin: er werden Sänger und Sängerinneninnen, Musikanten und tanzkundige Menschen aufgesucht und nach ihren musikalischen Erfahrungen und Kenntnissen befragt oder Notenkisten durchgeblättert. Ihre Lieder und Musikstücke werden auf Tonband aufgenommen, Notenblätter kopiert oder zum Kopieren ausgeliehen, Tänze werden choreografisch aufgezeichnet, und es wird nach den Lebenszusammenhängen gefragt, in denen diese Musikalien verwendet wurden.

Viele derer, die in Bayern Feldforschung bzw. volksmusikalische Sammlung betreiben, haben ihr „Handwerk“ von Wolfgang A. Mayer gelernt, der von 1974 bis zu seiner Verrentung als wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Volkskunde bei der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München tätig war. Allein 22 unserer 62 „liabsten Lieder“, also mehr als ein Drittel, hat er aufgezeichnet und haben wir von ihm gelernt.
Wolfgang Mayer hat eine ganz spezielle Methode, Gewährsleute ausfindig zu machen: Fußwanderungen von Ort zu Ort, das Tonbandgerät im Rucksack und ein Notizheft in der Kartentasche dabei. Dieses zu-Fuß-Gehen hat – neben dem Erleben der freien Natur – in Bezug auf das Vorhaben durchaus seine praktischen Vorzüge: Man wirkt nicht wie ein „Vertreter“, der einem etwas verkaufen möchte, was die Kontaktaufnahme meist deutlich erleichtert. Man wird als Wanderer unterwegs in der freien Flur oder auf Dorfstraßen interessiert angesprochen, wo man denn herkäme, wohin man wolle, ob einem die Füße oder der Rücken angesichts des prallen Rucksacks nicht schmerzen würden, ob man nicht Durst oder Hunger habe – kurz: man kommt sehr leicht mit den Leuten ins Gespräch und kann auf diese Weise ein gewisses Vertrauensverhältnis aufbauen. Bald lässt sich so das Gespräch geschickt auf das musikalische Interesse lenken, und es ergeben sich erste Hinweise auf Wirtshaussänger, Musikanten oder als gute Tänzer bekannte Frauen und Männer. Diese werden dann mit der Referenz des ersten Informanten bei sich zuhause aufgesucht und nach ihren musikalischen Erinnerungen befragt. Nicht selten entstehen Liedaufnahmen bereits auf dem Feld, auf der Wiese, im Hof – wo die Leute gerade angetroffen werden. Viele solcher mehrtägigen Feldforschungswanderungen fanden im Zusammenhang mit den niederbayerischen und Oberpfälzer Herbsttreffen (Volksmusikwochenend-Seminare des Landesvereins) oder der Seminarreihe für Volksmusikforschung und –pflege in Bayern (veranstaltet ebenfalls vom Landesverein) in allen Regionen Bayerns statt (so etwa rund um das Nördlinger Ries, vom Ries ins Allgäu, vom Ries ins Tirschenreuther Land usw. usw.).

Es war im Jahr 1978, als ich Wolfgang A. Mayer als junger Student das erste Mal auf so einer Wanderung begleiten durfte. Anlass dafür waren die Vorbereitungen zum Herbsttreffen niederbayerischer Sänger, Tänzer und Musikanten des Landesvereins, das in Windberg ausgerichtet wurde. Wir erwanderten uns die Region um den Tagungsort, trafen dabei auf Josef Schleinkofer in Hunderdorf, der uns z.B. die Straubinger Ari vorgesungen oder die Feuerwehrpolka gezeigt hat. Unvergesslich, wie er als Kriegsversehrter – er hatte einen Arm verloren – auf seiner Mundharmonika in der einen Hand die Melodie intonierend uns gleichzeitig mit seinem anderen Armstumpen so lange durch seine Stube geschoben hat, bis wir in der Lage waren, die Bewegungen schriftlich in Worte zu fassen. Weiter ging es nach Grad bei Neukirchen zu Otto und Mathilde Pielmeier, die uns das versetzte Tanzen beim Deutschen Dreher gelernt haben. Jackerl Schedlbauer in Wahdorf bei Elisabethszell zeigte uns die Tanzbewegungen von Fuchsschwanz, Sommersberger oder Tiroler – alles Tänze, die heute in der Volkstanzpflege landauf landab selbstverständlich zum Repertoire gehören.

Zwiesel-Panorama
Beim Singstammtisch in Zwiesel konnten wir viele bemerkenswerte Lieder aufzeichnen. (Foto: Roland Pongratz)

Viele unserer „liabsten Liader“ wurden auf solchen Feldforschungs-Wanderungen oder bei ähnlichen Unternehmungen aufgefunden. Nur wenige entstammen gedruckten Notenausgaben. Wer einmal länger über seinen persönlichen Liedbesitz nachdenkt, der wird feststellen, dass die erste Begegnung mit einem Lied sehr oft mit einer menschlichen Begegnung oder einer anderen klingenden Quelle einhergeht. Man lernt die meisten seiner Lieder, gerade die „liabsten“, die einem wirklich als geistigen Besitz „gehören“, nicht von Noten, sondern übers Ohr.
So auch das Lied „Aber eantadhoi der Doana“. Die Tonaufnahme dazu habe ich im April 1992 machen können. Alexander Wandinger, jetzt beim Trachteninformationszentrum des Bezirks Oberbayern in Benediktbeuern, hatte mich auf den Singstammtisch in Zwiesel aufmerksam gemacht und dorthin begleitet. Es war beeindruckend, den damals schon gut 80jährigen „Feiderer“ (so sein Hausname) Hans und seine Singfreunde wie den Rankl Helmut zu treffen, deren „Feiderer Ari“ mir schon seit Jahren im Ohr klang. Unvorstellbar für mich als Bass-Sänger deren Fähigkeit, sich mit ihren rauen Kehlen in höchste Tenorlagen emporzusingen. Eine Kunst, die heute nur noch selten angetroffen werden kann. Ebenso ihre Praxis des „schlagerischen“ Singens: einer fängt an (Feiderer Hans), ein anderer „schlagt“ nach der Eröffnungszeile die Überstimme drüber (Rankl Helmut), andere „schlagen“ die Unterstimme oder eine Bassstimme wieder eine Phrase später darunter.

Singstammtisch Zwiesel
Der Singstammtisch in Zwiesel – fotografiert von Roland Pongratz (1995)

Die Zeiten, solche Raritäten aus älteren Schichten mündlicher Singpraxis außerhalb der veranstalteten und medial vermittelten Volksmusik anzutreffen, sind heute nahezu vorbei. Die Volksmusik hat eine „Mediamorphose“ durchlaufen. Repertoire wie Klang werden heute weitestgehend von den Medien geprägt.

Und hier nun die Aufnahme von „Aber eantadhoi da Doana“, vorgesungen vom Zwieseler Singstammtisch.

Aba eantadhoi da Doana Originalhöhe Petrucci

Das Titelbild wurde uns freundlicherweise von ARBERLAND REGio GmbH zur Verfügung gestellt.

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