Singender Adler

„Habt ihr früher im Wirtshaus auch gesungen? Wer waren denn die Hauptsänger? Könnt ihr euch noch an Lieder erinnern? Was habt ihr denn gesungen?“ Das sind so einige der Standardfragen, die ich meinen Gesprächspartnern bei meinen örtlichen Befragungen gerne stelle. Außer natürlich, ich wurde eh schon zu einem kundigen Sänger geschickt.

Diesmal war es gleich eine ganze Singrunde, die sich im März letzten Jahres zu einem Treffen bereit erklärt hatte, um mir ihre Lieder vorzusingen. Aus Silheim und Großkissendorf, das sind zwei Dörfer im Bibertal im Landkreis Günzburg stammen die Sänger, die über ein erstaunliches Liedrepertoire verfügen. Wer jetzt wissen will, was es mit der Franzosawehr, dem alten Eckklavier, der Frau Tschotschill und einem verrückten Gockel auf sich hat, der sollte unbedingt weiterlesen.

Wie so oft, war es der Zufall, der mich auf die Sänger aus dem Bibertal aufmerksam machte. Beim Bergsingwochenende erzählte mir Hildegard Stapf aus Silheim von ihrem Onkel, der noch sehr viele lustige Lieder wüsste und der sehr Bildschirmfoto 2016-06-23 um 12.06.57singlustig sei. Das interessierte mich natürlich sehr und so vereinbarten wir, dass sie die Sänger um ihren Onkel Erwin Schneider, die sich noch an die alten Wirtshauslieder erinnern können, einlädt. Unser erstes Treffen fand dann letztes Jahr im März statt. Hildegard  hatte die kundigsten Sänger zusammengetrommelt und zu sich nach Hause eingeladen.

Mit erwartungsvollen und fragenden Gesichtern wurde ich von sieben Sängern empfangen. Schnell war ihnen klar, für welche Lieder ich mich interessiere. Mit klangvollen Stimmen (hier merkte man die Übung im Gesangverein und Kirchenchor) und fast immer mehrstimmig sangen sie mir „ihre“ Lieder vor. Die Lieder, die sie eben nach der Probe oder nach dem Fussballtraining im Wirtshaus gesungen haben, die sie noch von älteren Sängern aufgeschnappt und sich gemerkt hatten. Ich war wirklich erstaunt über ihr ungewöhnliches Repertoire. Es waren Lieder dabei, die hatte ich so noch nie gehört. Über zweieinhalb Stunden sangen sie fast ohne Pause ein Lied nach dem anderen. Die Singlust war beachtlich und meine Begeisterung groß.

Bei einem weiteren Treffen wurde dann die Idee geboren, bei einem geselligen Wirtshausabend die Lieder wieder ins Wirtshaus zurückzubringen, denn leider, so bedauerten meine Gewährsleute, wird kaum noch nach den Proben gesungen. Mit dem Gasthof Rudolph in Kissendorf war dafür der ideale Ort gefunden. Wir rührten fleißig die Werbetrommel, verteilten Einladungskarten, die hoffentlich neugierig machten und siehe da, der Saal war am  2. Juni mit über 70 Leuten sehr gutBildschirmfoto 2016-06-23 um 12.08.10 gefüllt. Die Zieglschtoimusik aus Kissendorf spielte auf und bildete einen musikalischen Rahmen. Mein Kollege Christoph Lambertz und ich fungierten quasi als Moderatoren und steuerten auch das ein oder andere Lied bei.

Der Abend nahm sehr schnell an Fahrt auf. Es war von Anfang an eine unglaubliche Stimmung. Nicht nur die Sänger, die mir die Lieder im Vorfeld vorgesungen hatten, sangen kräftig, sondern der ganze Saal hatte die Lieder offensichtlich noch sehr gut im Gedächtnis und stimmte sofort mehrstimmig mit ein. Und es waren wirklich ungewöhnliche Lieder dabei wie z.B. das Lied „Dau neili bin i z’Ulam gwea“, das mit dem Zungenbrecher „Wasalewembembasalewusalewasalewembembem“ volle Konzentration einforderte. Oder das in den Wirtshäusern Schwabens früher sehr beliebte Kettenlied vom „Bruader Anton“, das mit unglaublicher Schnelligkeit gesungen wurde. Als Schlusshöhepunkt standen zum Nachgesang alle, wie auf ein geheimes Kommando, gemeinsam auf.

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Auch eine interessante Variante der „Franzosawehr“ mit einigen deftigen Strophen hatten die Sänger im Repertoire. Hier bekamen die oben schon erwähnte Frau Tschotschill und das alte Eckklavier ihren Auftritt. Die Lachmuskeln wurden dabei jedenfalls ziemlich strapaziert.

Der guten Stimmung sind auch noch ein paar sehr lustige Strophen zu verdanken, die einem nur im Wirtshaus einfallen wie z.B. die von den zwei Damen im Café oder dem fliegenden Herrn Maier. Die sehr skurillen Erlebnisse zweier Knaben trugen auch sehr zur allgemeinen Erheiterung bei.

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„Diese Strophe kenn ich noch nicht!“

Mit einer Parodie des Abschiedsliedes „Wenn Freunde auseinander gehn“, das mit großem Pathos zelebriert wurde, neigte sich dieser energiegeladene Abend seinem Ende zu. Vielleicht hat er ja Lust gemacht, wieder öfters ein Lied im Wirtshaus anzustimmen. Der Wirtin würde es gefallen!

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Hier nun ein paar akustische Eindrücke von diesem sehr besonderen Wirtshausabend im „Singenden Adler“. Ihr könnt euch die Lieder anhören, es sind Livemitschnitte, keine Studioaufnahmen.

Wer mitsingen möchte, der kann sich die entsprechenden Liedblätter herunterladen.

Und nun viel Spaß beim Zuhören und Mitsingen!

Wie-ein-stolzer-Adler

Download: Wie-ein-stolzer-Adler.pdf


Dau-neili-bin-i-z-Ulam-gwea

Download: Dau-neili-bin-i-z-Ulam-gwea.pdf


Bruader-Anton

Download: Bruader-Anton.pdf


Franzosawehr

Download: Franzosawehr.pdf


Freut-euch-des-Lebens

Downlaod: Freut-euch-des-Lebens.pdf


Ein-Fräulein-kam-zum-Doktor3

Download: Ein-Fräulein-kam-zum-Doktor.pdf


Wenn-Freunde-auseinander-g

Download: Wenn-Freunde-auseinander-gehn.pdf

Veröffentlicht von

Dagmar Held

Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben

2 Gedanken zu „Singender Adler“

  1. Wunderbar. Sehr schön.
    Nur beim „Fräulein Doktor“ liegt keine Musik hinter der Seite-
    oder es funktioniert bei mir nicht?
    Trotzdem ganz herzlichen Dank für das neue Angebot.
    Weiter so – ad multos annos!

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