LIEDERLUST ♪ 15 – O lebe wohl, vergesse mein

Maramuresch – was für ein schönes klangvolles Wort. Dahinter verbirgt sich eine Landschaft ganz im Norden Rumäniens, direkt an der Grenze zur Ukraine. Lange Zeit war die Maramuresch ein Sehnsuchtsort von mir, zu dem ich unbedingt einmal reisen wollte. Geweckt hat diese Neugier ein kleines Büchlein von Claus Stephani, ein rumäniendeutscher Journalist und Ethnologe, der in den 1970er und 1980er Jahren in zahlreichen Feldforschungen die Geschichten der dort lebenden Deutschen auf Tonband aufgezeichnet und literarisch verarbeitet hat. Und von dort haben wir euch diesmal ein sehr berührendes Lied mitgebracht. ‚O lebe wohl, vergesse mein’ – ein Liebeslied, das nicht nur wegen seines Textes zu Herzen geht, sondern auch wegen seiner schönen Melodie in Moll.

Aufgezeichnet wurde es in Oberwischau, dem Hauptort dieser deutschen Sprachinsel. Die meisten Siedler stammten ursprünglich aus Oberösterreich aus den Orten Gmunden, Bad Ischl und Ebensee, und wanderten im Lauf des 18. Jahrhunderts ein. Ein zweiter großer Zustrom erfolgte zwischen 1776 und 1812. Holzfäller, Flößer, Handwerker und Facharbeiter wurden aus der Zips angeworben, einem Gebiet im Osten der heutigen Slowakei, das seit dem 12. Jahrhundert von deutschen Siedlern bewohnt war, genau genommen von süddeutschen Siedlern. Dort hatten sie immer wieder mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen. Aus der verarmten und übervölkerten Bergbauregion zogen sie dann weiter Richtung Osten in die Maramuresch, angeworben von der ungarischen Verwaltung, die diese abgelegene Region wirtschaftlich erschließen wollte.

Dorf im Wassertal – Aquarell von Celestino Piatti 1990

Claus Stephani schreibt in „Frauen im Wassertal – Lebensprotokolle aus Ostmarmatien“ (München 1990) im Vorwort:
Jenseits der rumänischen Waldkarpaten beginnt die Maramuresch, und weiter im Osten, umgeben von dicht bewaldeten Bergen, zwischen den Flüssen Wischau, Theiss und Wasser liegt das Wischauer Land. In einem Winkel aber, wo die Gebirge so eng zusammenrücken, dass man manchmal kaum noch den Himmel sehen kann, verbirgt sich – einsam und unbeachtet – das Wassertal, in der Stadt Oberwischau (Viseu de Sus) wohnen die Zipser Sachsen. Die rauhe, reizvolle Gegend ist altes Hirten- und Bauernland, und die Bewohner – Rumänen, Ruthenen, Zipser und Juden – züchteten Schafe, bestellten ihre Bergfelder, waren Handwerker oder arbeiteten im Holzschlag. Früher hieß es, dort sei das Ende der Welt, und um in dieses gottvergessene Gebiet zu gelangen, musste man über die Berge steigen, auf Wegen, die vom Norden Transsylvaniens herführten – durch dunkle Wälder, in denen „edle Räuber“, Heiducken, doch auch gemeine Wegelagerer lebten. Und so kam selten jemand zu den Zipsern ins ferne Wassertal, und kaum ein Zipser verließ je die Umgebung von Oberwischau, die vielen Weiler und Streusiedlungen, die sich bis auf zweitausend Meter Höhe hinziehen. ……..Die Menschen im Wassertal trugen ihr Schicksal als etwas, das ihnen von „Gott gegeben“ war, getreu dem Volksspruch: „Wann tås Laad is vorbei, is auch tås Leben zu End“ – „Wenn das Leid endet, endet auch das Leben“.

Sehr malerisch wirken die großen Heuhaufen überall auf den Wiesen.

Diese, zugegeben recht romantische Schilderung der Maramuresch hat die Sehnsucht in mir geweckt, diese Landschaft einmal mit eigenen Augen zu sehen. Zum Glück musste ich nicht über hohe Berge steigen und dunkle Wälder in Angst vor Räubern durchqueren. Aber weit ist es natürlich schon – 1200 km einmal quer durch Österreich und Ungarn. Aber die Reise hat sich gelohnt und Claus Stephani hatte wirklich nicht übertrieben. Die Landschaft ist wunderschön und in vielen Dörfern kann man auch noch kunstvoll verzierte Holzhäuser mit ihren prächtigen Eingangstoren bewundern.

An den alten Holzhäusern findet man kunstvoll verzierte Tore.

Wir wanderten durch üppig blühende Wiesen – ein Anblick, den man bei uns kaum noch finden kann – und spürten den irrwitzig schmalen Gleisen der bis heute dampfbetriebenen Wassertalbahn nach, die sich 40 km lang in die Waldkarpaten hinaufschlängelt. Ehemals gebaut um die Holzstämme ins Tal zu transportieren, heute eine begehrte Touristenattraktion. Wir bestaunten die kunstvollen Holzkirchen mit ihren wildromantischen Friedhöfen, auf denen zwischen den Gräbern ganz selbstverständlich Heu gemacht, Äpfel geerntet und auch gefeiert wurde. Keine Spur von Perfektion, wie wir es von unseren Friedhöfen kennen, aber, oder vielleicht gerade deshalb auf eine ganz besondere Weise wunderschön.

Im üppig überwachsenen Friedhof sitzen die Feiernden einfach zwischen den Gräbern im Gras

Und klar, es gibt zwischen all dem Schönen auch unglaublich viel Hässliches z.B. monströse halbfertige Häuser, die neben die alten kleinen Holzhäuser gequetscht und wahrscheinlich nie fertig gebaut werden, weil der mühsam erarbeitete Lohn aus dem fernen Deutschland dann doch nicht reicht. Das Leben in der Maramuresch ist und war ganz gewiss keine Idylle, aber das Wissen um die Geschichte lässt einen mit anderen Augen auf alles schauen und viel Schönes und Interessantes entdecken.

Doch genug erzählt. Johanna, Magdalena, Max und Lukas laden euch nun zum Mitsingen ein! Wir wünschen euch viel Freude dabei!

Liedblatt

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Veröffentlicht von

Dagmar Held

Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben

2 Gedanken zu „LIEDERLUST ♪ 15 – O lebe wohl, vergesse mein“

  1. Liebe Dagmar,
    wie schön, dass deine Töchter so in deine Fußstapfen treten!
    Wunderbar – dieses Lied und die Darbietung!
    Dieses – zunächst Corona geschuldete Format – mit den Einzelstimmen, dem Gesamtklang und den ausführlichen Erläuterungen ist eine Schatzkiste.
    Vielen Dank dafür!
    Herzliche Grüße!
    Hermine

  2. Liebe Johanna und Magdalena,
    Lieber Maximilian und Lukas,
    eins meiner Lieblingslieder, das mich schon ganz lange begleitet. Vielen lieben Dank für diese neue Variante. Ihr habt wundervoll gesungen und mir damit den Tag erhellt. LG Simone

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