LIEDERLUST ♪ 22 – Ich geh in finstrer Nacht

„Wär ich bloß daheim geblieben!“ – Bestimmt hat sich das der ein oder die andere auch schon mal nach einem Missgeschick oder einer unliebsamen Begegnung gedacht. Am besten ist, man betrachtet das Ganze mit Humor. Hoffen wir mal, dass dies unserem Protagonisten nach seiner ‚unheilvollen Nachtfahrt’ – so nennt sich der Liedtypus, den wir euch heute vorstellen möchten – trotz einiger Blessuren gelungen ist.

Es ist aber auch wirklich dumm gelaufen. Ein junger Mann wird von seiner Angeschwärmten schmählich ausgetrickst und der Absturz aus dem rosa Wolkenkuckucksheim ist sogar ziemlich schmerzhaft. In fünf Strophen wird dieses nächtliche Abenteuer genüsslich ausgebreitet. Scherzballade nennt man so eine gesungene Geschichte, bei der ein Missgeschick im Mittelpunkt steht. Schadenfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude – vielleicht waren deshalb diese Lieder auch so beliebt. Solange man nicht selbst betroffen ist, kann man ja auch wirklich herzlich drüber lachen.

Magdalena, Johanna und Lukas amüsieren sich jedenfalls köstlich.

‚Ich geh in finstrer Nacht’ ist so eine Scherzballade. Sie war in vielen Varianten im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet. Die Aufzeichnung, die wir euch heute vorstellen möchten, haben Evi Heigl und Thomas Höhenleitner 1993 aus dem ungarndeutschen Dorf Gestitz (auf ungarisch ‚Várgesztes’) mitgebracht. Gestitz liegt im Schildgebirge, etwa 50 Kilometer westlich von Budapest. Ab dem 18. Jahrhundert wurden hier in einigen Dörfern Deutsche angesiedelt, hauptsächlich aus Bayern und Österreich. Durch die Folgen des zweiten Weltkrieges wurde die deutsche Bevölkerung durch Verschleppung und Vertreibung stark dezimiert und war nur noch in Resten vorhanden.

Zwei davon waren die 63jährige Resi Menoni und ihr 66jähriger Mann Johann. Durch Zufall wurden Evi Heigl und Thomas Höhenleitner auf die beiden aufmerksam – es waren die Eltern ihrer Gastgeberin, die noch öfter ‚so oide Liada’ zusammen sangen. Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Bericht ihrer Reise zu den deutschen Dörfern im Schildgebirge (veröffentlicht im Heft 1 der Zeitschrift „Volksmusik in Bayern“ von 1994):
„Resi und Johann Menoni erwecken einen frischen, sympathischen Eindruck. Ein Leben lang haben sie gesungen, bis heute. Freilich, die Singgelegenheiten schwinden zusehends. Es bleibt vor allem die Erinnerung an die Vergangenheit und die unvergessenen dörflichen Sängerrunden im Wirtshaus. Ein breites, genussvolles „Aah!“ entfährt Johann Menoni aus voller Brust, als er sich die früheren Zeiten vergegenwärtigt. „Guate Singer war’n imma! Alleweil hat’s guate Singer geb’n“, so schwärmt er. Auch sein Vater habe ausgezeichnet gesungen. „Jetz is’s halt scho alles weg, des.“, bedauert seine Frau, die Resi, und es klingt, als habe sich da eine alte Dorfkultur förmlich in Luft aufgelöst, ohne, dass man es richtig gemerkt hätte, ohne dass man es hätte aufhalten können ….. Uns singen sie zweistimmig noch wunderbare alte Lieder und Weisen vor.“

Singfreudige Gäste aus Ungarn
Jetzt muss ich euch noch unbedingt von meiner persönlichen Sternstunde beim diesjährigen ‚drumherum‘ in Regen erzählen. Aus Ungarn war die Musikantengruppe ‚Klani Hupf‘ angereist, die mitreissend musiziert und gesungen haben. Aus verschiedenen donauschwäbischen Dörfern haben sich die Musikanten zu dieser Gruppe zusammengefunden: aus Werischwar (Pilisvörösvár), Saar (Szár), Herrendorf (Herend) und aus Boglar (Vértesboglár). Saar und Boglar liegen ganz in der Nähe von Gestitz im Schildgebirge. Bei einer Singstunde sprach mich der Trompeter Franz Mohl an und erzählte, dass sein Musikkollege Johann Laub alle Lieder von seinem Opa auf Tonband aufgenommen hat. Sehr spannend! Diese Aufnahmen würden mich natürlich brennend interessieren! Und ich kam dann noch völlig unerwartet in den Genuss, sie singen zu hören. Um Mitternacht auf der Hauptstraße in Regen sind wir uns beim Heimgehen begegnet. Johann hatte seine Harmonika dabei und spontan haben sie eine Stunde lang ihre schönen Lieder angestimmt. Ein Ohrenschmaus. Ich war wirklich hin und weg. Das Lied von der unheilvollen Nachtfahrt war auch dabei. Hier der Mitschnitt, den ich mit dem Handy gemacht habe.

Nächtliche Singbegegnung beim ‚drumherum‘ 2022 in Regen.

Zum Lernen singen euch diesmal wieder Magdalena und Johanna Held und Lukas Linzmeier vor. Das verwunschene Häuschen haben wir am Eingang zu Lektors Garten in Unterwiesenbach gefunden. Wir bedanken uns recht herzlich, dass wir dort aufnehmen durften.

Und nun viel Spaß beim Anhören, Zuschauen, Lernen und Mitsingen!

Ich-geh-in-finstrer-Nacht-Partitur

Das Liedblatt können Sie hier herunterladen: Ich geh in finstrer Nacht

Alle Beiträge zur LIEDERLUST finden Sie HIER.

Veröffentlicht von

Dagmar Held

Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben

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