LIEDERLUST ♪ 11 – Es zogen drei Sänger wohl übern Rhein

Vielleicht geht es euch genauso wie mir. Ich habe unzählige Liederbücher in meinem Regal stehen, aber die für mich eindrücklichsten Lieder sind nicht die Lieder aus meinen Liederbüchern, sondern diejenigen, die mir jemand vorgesungen hat. Und erst über diese Brücke habe ich sie dann auch in einem Liederbuch entdeckt. So ging es mir auch mit der Ballade „Es zogen drei Sänger wohl übern Rhein“. Zum ersten Mal gehört habe ich sie in Hopgarten, einem deutschen Dorf in der Ostslowakei. Das Lied ist ein später Nachklang der uralten Ballade vom ‚Ulinger’ (Ritter Blaubart), der durch seinen zauberhaft wunderschönen Gesang (mit dreierlei Stimmen) Mädchen in den Wald lockt, verführt und dann ermordet.

Ursprünglich ist immer nur von einem Sänger oder Ritter die Rede, in unserer Variante wurden drei Sänger draus. Ich vermute, die dreierlei Stimmen, die ein Sinnbild für den betörenden und verführerischen Gesang sind, verleiteten zu dieser Veränderung. So ist es eben, wenn Lieder mündlich weitergetragen werden. Texte verändern sich, Strophen werden umgebaut, ergänzt oder gehen verloren. So auch in unserer Fassung von der ‚Mädchenmörderballade’, wie dieser Typus auch genannt wird. Während in vollständigen Varianten das Mädchen in letzter Minute und in höchster Not von ihrem Bruder aus den Fängen des mordlüsternen Ritters befreit wird, endet unsere Fassung relativ unspektakulär und völlig offen mit dem Lamento des Mädchens, dass sie doch besser zu Hause geblieben wäre. Beim Singen freu ich mich immer, dass mir die doch etwas grausige Fortsetzung erspart bleibt….
Soviel zur Geschichte der Ballade. Jetzt möchte ich euch noch ein wenig von Hopgarten, dem Ort, an dem ich das Lied für mich entdeckt habe, erzählen.

Dorfstraße von Hopgarten

Hopgarten (slowakisch ‚Chmel’nica’) ist eine kleine Gemeinde im Nordosten der Slowakei, unweit der Grenze zu Polen und liegt malerisch an den Ausläufern der Beskiden. Im Jahre 1248 wurde es unter dem Namen ‚Petersburg’ von deutschen Einwanderern, vornehmlich aus Oberschlesien, gegründet. Es gehört zum Gebiet der Zips, das bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges , von zahlreichen Deutschen besiedelt war.

Straßenzug mit typischen Zipser Häusern in Käsmark (Kezmarok)

Der Sonderfall Hopgarten – ein Dorf klinkt sich auch dem Weltgeschehen aus
Eigentlich dürfte es diese kleine Dorfgemeinschaft längst nicht mehr geben.Bereits im Dezember 1944 versuchte die deutsche Wehrmacht gleich zweimal, die Zivilbevölkerung auszusiedeln, jedoch vergeblich. Die meisten Familien versteckten sich in den Nachbardörfern, nur etwa 50 Frauen und Kinder wurden nach Deutschland gebracht. Kurz vor dem 20. Januar 1945, an dem Tag, an dem die russische Armee vorbeizog, wurden weitere Familien evakuiert, fast alle kehrten jedoch noch im Mai in ihre Heimat zurück. Von den Massakern unter den Deutschen durch die Partisanen, von den wilden Vertreibungen der ersten Nachkriegswochen und den berüchtigten Benesch-Dekreten wussten die Hopgartner nichts. Es gab nicht einmal ein Radio am Ort. Das Unheil traf sie so völlig unvorbereitet. Am Abend des 26. Juni 1946 umstellten tschechische Soldaten das Dorf und fast alle Deutschen wurden in ein Sammellager in die benachbarte Kreisstadt Altlublau gebracht. Doch schon am nächsten Tag protestierte der slowakische Dorfpfarrer beim Bezirksamt gegen die Vertreibung der Deutschen. Auch die Bürgermeister der slowakischen und ukrainisch-ruthenischen Nachbargemeinden, mit denen die Hopgartner ein gutes Verhältnis hatten, solidarisierten sich mit ihnen und so kamen sie wieder frei und konnten in ihr Dorf zurückkehren. Vor einem zweiten Deportationsversuch am 5. Juli 1946 wurden die Hopgartner von ihren slowakischen Nachbarn rechtzeitig gewarnt und sie versteckten sich im Gemeindewald. Den ganzen Sommer über bestellten sie tagsüber ihre Felder und verbrachten die Nächte mit ihren Familien im Unterholz. Im September wurden die Versuche, die Hopgartner auszusiedeln, beendet. Heute leben in Hopgarten etwa 900 Einwohner, die mehrheitlich untereinander eine schlesische Mundart sprechen.

Hedwig mit ihrem vollgepackten Fahrrad

Es zogen zwei Studentinnen in die Zips …
Mit meiner Freundin Hedwig reiste ich 1994 mit dem Fahrrad in dieses Gebiet. Es war eine sehr eindrucksvolle Reise. Vor allem die Begegnung mit den Leuten von Hopgarten war sehr spannend und interessant. Stefan Kozak (*1929) war hier der entscheidende ‚Türöffner’. Er hat eine sehr ausführliche Chronik der ungewöhnlichen Geschichte von Hopgarten verfasst und so war er unser erster Ansprechpartner. Unvergessen für mich ist ein Abend in seiner Wohnstube, zu der er die liedkundigsten Sängerinnen des Dorfes eingeladen hatte. Wir saßen ziemlich zusammengepfercht in dem kleinen Raum und plötzlich ging das Singen mit einer Lautstärke und Intensität los wie eine Urgewalt. Ich war total überwältigt von dem altertümlichen Singen, das nun erklang. Sie sangen sehr laut, beinahe schon schreiend, und in einer interessanten Mehrstimmigkeit, die immer wieder bei Haltetönen im Einklang verharrte. Eine Sängerin juchzte an bestimmten Stellen mit durchdringender Kopfstimme (sie nennen es ‚dschukein’), vergleichbar mit kurzen Jodlerrufen im alpenländischen Gesang. Es klang wirklich für mich im ersten Moment sehr archaisch. Der alte schlesische Dialekt tat sein Übriges, ich verstand immer nur kurze Sprachfetzen. Der Dialekt war für meine schwäbisch-bairischen Ohren einfach zu fremd. Hier eine kleine Kostprobe:

Eh Zähre, meiner Zähre – Liebeslied im Hopgartner Dialekt mit „dschukein“

Der Bogen der gesungenen Lieder spannte sich von altertümlichen Dialektliedern und Balladen, Schwankliedern, Heimatliedern, Soldatenliedern, Schulvolksliedern, Schlagern und Liedern der Wandervogelbewegung bis hin zu den schönen alten Weihnachts- und Hirtenliedern, die bis heute in ungebrochener Tradition in der Christmette gesungen werden. Die Singbegeisterung an diesem Abend war groß und ließ mich erfüllt und überwältigt zurück.
Beim Durchblättern und Sichten meiner Unterlagen für diesen Beitrag steigen die Bilder und Klänge dieser Reise vor meinem inneren Auge (und Ohr) auf und wecken eine Sehnsucht. Die Sehnsucht sich wieder auf den Weg zu machen Richtung Osten und zu schauen, was sich so alles getan hat in der Zwischenzeit.

Zunächst aber reisen wir gedanklich mit den drei Sängern übern Rhein. Hier hört ihr die Originalaufnahme aus Hopgarten:

von links nach rechts: Helene Gana, Maria Rindosch und Maria Gurka singen mir geduldig vor
Es zogen drei Sänger – Feldforschungsaufnahme aus Hopgarten 1994

Wer sich beim Betrachten des Titelbildes gefragt hat, an welcher Stelle die Ufer des Rheins denn so aussehen, dem sei verraten, dass es sich bei dem abgebildeten Gewässer nicht um den Rhein handelt, denn der Rhein steht in unserem Lied nicht für eine geographische Angabe sondern als Symbol für ‚von ganz weit her’. Es kommt einer (ein Ritter, ein Sänger, drei Sänger) von ganz weit her und da ist Vorsicht geboten. Kann man diesem Fremden trauen? Nein, ganz und gar nicht.

Ich hab mir überlegt, wie er denn wohl über diesen Rhein kam um das Vertrauen der Königstochter zu erlangen. Da dachte ich mir, wenn schon nicht mit dem weißen Schimmel, dann ist ein schönes Segelboot wohl das Mindeste….

Und nun viel Freude beim Mitsingen und Mitreisen!

Es-zogen-drei-Saenger-normal-Partitur

Alle Beiträge zur LIEDERLUST finden Sie HIER.

Veröffentlicht von

Dagmar Held

Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben

3 Gedanken zu „LIEDERLUST ♪ 11 – Es zogen drei Sänger wohl übern Rhein“

  1. Oh wie schön, vielen Dank Euch Vieren!
    So ein wunderbares Lied und ich konnte – dank Eurem Singtag – gleich mitsingen.

    Alles Liebe und hoffentlich bald mal wieder beim zusammen singen,
    Renate

  2. Liebe Dagmar, mit großem Interesse habe ich Deinen Reisebericht gelesen. Du hast ihn anschaulich und sehr einfühlsam geschrieben dass ich meine, ich durfte mit Dir die spannende Reise neu erleben, fantastisch. Der Gesang der Dörfler erinnert mich an manche Singstunde im Bayerischen Wald vor über 60 Jahren.
    Danke, dass Du an mich gedacht hast.
    Lieben Gruß, Richard

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