LIEDERLUST ♪ 10 – Der Kuckuck auf hohem Birabaum saß

Im Zentrum dieses originellen Liebesliedes steht der Kuckuck. Wenn man sich den Text allerdings einmal genauer anschaut und auch zwischen den Zeilen liest, merkt man schnell, dass es nur vordergründig um den Kuckuck geht. Vielmehr handelt es sich um einen recht menschlichen „Vogel“, der auf ein Liebesabenteuer aus ist.

Volkslieder leben ja von Metaphern, also Bildern und das macht sie auch so reizvoll und interessant. Es wird nicht sofort plakativ das ausgesprochen, was man sagen möchte, sondern es werden Bilder und Symbole benutzt, die meist der Natur oder dem eigenen Lebensumfeld entstammen. Ein so gestalteter und verschlüsselter Liedtext lässt Raum für die eigene Phantasie und eröffnet vielerlei Perspektiven, je nach Sichtweise und Lebenserfahrung des Betrachters. Das macht Volkslieder so spannend und zeitlos. Und ganz wichtig – durch diese spezielle Poesie wirken sie nicht altmodisch und ihre Botschaft wird auch heute noch verstanden.

Quelle: pixabay.com

Aber nun zurück zum Kuckuck. ‚Dieser seltsame Vogel, der in „Vielweiberei“ lebt und seine Eier in fremde Nester legt, galt als Symboltier freier ungeregelter Liebesbeziehungen.’ So schreibt Werner Danckert in seinem Standardwerk „Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker“. Ein ganzes Kapitel ist hier der Bedeutung des Kuckucks gewidmet. Eine besonders schöne Geschichte findet sich in der griechischen Mythologie:

‚Schon das Altertum erblickte den Kuckuck als ein ungebundenes Zeugungswesen. Es ist kein Zufall, dass unter vielen Gestalten, die Zeus annimmt, auch die des Frühlingsvogels erscheint. Auf dem Kokkys, dem „Kuckucksberg“ in der Landschaft Argolis, schickte Zeus den befruchtenden Regen, dann nahm er Kuckucksgestalt an, um die dort wandernde Jungfrau Hera zu verführen. Nach furchtbarem Unwetter ließ er sich zitternd und frosterstarrt auf ihrem Schoß nieder. Als die Göttin sich erbarmend des Vogels annahm, nahm Zeus seine wahre Gestalt an und näherte sich Hera als Liebhaber. Aber sie wehrte sich und willigte erst ein, als er ihr die Ehe versprach.’

Für seine Präsenz im Volkslied spielt es sicher auch eine große Rolle, dass der Kuckuck mit seinem unverkennbaren Ruf auch in unseren Breiten allseits bekannt ist. Den Ruf dieses Frühlingsvogels erkennt wahrlich jedes Kind. Eins der bekanntesten Kinderlieder ‚Kuckuck, Kuckuck, rufts aus dem Wald’ greift diesen Ruf sogar musikalisch auf. Der Kuckuck tritt hier als Frühlingsbote auf, was ja auch gut passt, ist er doch selbst ein Zugvogel, der im Frühjahr aus Afrika nach Mitteleuropa zurückkehrt.

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Andere „Kuckuckslieder“ zeigen den Vogel als Brautwerber, der einen Ring für seinen Schatz beim Goldschmied bestellt oder als liebeshungrigen Burschen, der auf ein Abenteuer aus ist. Viele Lieder glorifizieren oder verspotten den Kuckuck als alten (reichen, braven klugen, armen) Mann mit sechs (sieben, acht etc.) Frauen. In Schäferliedern spielt der lose Vogel als Verführer der schönen Schäferin eine tragende Rolle. Er ist bald Sinnbild des Liebesverlassenen oder Verschmähten, bald des treulosen Liebsten. Sein Bild wird verknüpft mit erotischer Freizügigkeit, Unbeständigkeit, Partnerwechsel und Untreue. Der Kuckuck steht für das Nichtige, rasch Vergängliche einer Liebesbeziehung. Kurz und gut, auf den Kuckuck ist in Liebesangelegenheiten eher kein Verlass.

Wir möchten euch nun ein „Kuckuck-Lied“ vorstellen, das vor allem im baden-württembergischen Schwaben verbreitet war: ‚Der Kuckuck auf hohem Birabaum saß’ – eine sehr schwungvolle und augenzwinkernde Variante, die uns sehr gefällt. Hier ist unser ‚Kuckuck’ auf Brautschau im Nachbarshaus. Seine Hartnäckigkeit zahlt sich schließlich aus („Der richtige Kuckuck, der bin i ja scho und kuckuck!“) und die Angebetete öffnet ihm ihr Fenster („Da han i da Kuckuck im Bett drinna ghabt und kuckuck“). Damit ist auch schon alles gesagt. Veröffentlicht wurde diese Variante von Gustav Wirsching in seinem Schwäbischen Liederbuch (Stuttgart 1938) in einer Aufzeichnung des Lehrers und Mundartdichters August Lämmle (1876 – 1962), einem der wichtigsten Sammler schwäbischer Lieder. Lämmle fand das Lied in Tieringen im Zollernalbkreis (Baden-Württemberg).

Im Rahmen der Feldforschungsexkursion entlang des Riesrandes zur Vorbereitung des Seminares „Volksmusikforschung und –pflege in Bayern“, das 1980 in Schwaben stattfand, konnte eine fast identische Variante in Nordhausen (bei Unterschneidheim im Ostalbkreis an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg) aufgenommen werden.

Hier hört ihr den Wirt Sebastian Egetemeyr (*1913) und den Bauern Bernhard Thum (*1906). In ihrer Liedfassung sitzt der Kuckuck unter dem Lindenbaum.

Eine Hauptrolle in unserem Video spielt diesmal auch ein sehr pittoresker Birnbaum. Wir bedanken uns recht herzlich bei Annette und André Schubert von der Klangwerkstatt in Markt Wald für die schönen Bilder von ihrem eindrucksvollen Hausbaum.

Und nun viel Freude beim Mitsingen!

Der-Kuckuck-auf-hohem-Birabaum

Alle Beiträge zur LIEDERLUST finden Sie HIER.

Veröffentlicht von

Dagmar Held

Leiterin der Forschungsstelle für Volksmusik in Schwaben

5 Gedanken zu „LIEDERLUST ♪ 10 – Der Kuckuck auf hohem Birabaum saß“

  1. Wunderschön euer Gesang und der der Vögel im Hintergrund, vielen Dank dafür. Freue mich sehr, konnte gleich mitsingen, hab ich bei Euch gelernt.
    Alles Liebe und hoffentlich bald mal wieder zusammen singen, Grüßle Renate

  2. Hallo ihr Vorsänger und Sängerinnen!
    Herzlichen Glückwunsch zu dem gelungenen Liedbeitrag. Wir haben gelacht beim Orginal und mitgesungen im Fernchor!
    Liebe Grüße!
    Agnes und Wolfgang

  3. Was soll ich sagen? Euer Lied, Euer Gesang, die Art der Darstellung, die schönen Bilder, der schöne „Bierabaum“, mir gefällt alles wie Ihr es so und was Ihr so macht. Danke für die Zusendung.
    Richard

    1. Liebe Dagmar,
      vielen Dank für eure schönen Lieder!
      Es ist für mich immer ein Lichtblick in dieser sehr sehr langen gesanglosen Zeit von euch zu hören. Es macht Freude mit euch zu Singen.
      Hoffentlich bis bald wieder bei einer Singveranstaltung
      Liebe Grüße
      Maria Lutz

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