
Die Hauptperson unseres neuen LIEDERLUST-Liedes „Koa Hüttnmadl mog i net“ hat eine steile Karriere hinter sich, seit es Hubert von Goisern in den 1990er Jahren mit seinen Alpinkatzen auf die Bühne gebracht hat. Ursprünglich ist es ein einfacher Vierzeiler, der auch als Tanzform in ganz Bayern und Österreich verbreitet war. Hubert von Goisern besingt ein „Hiatamadl“, in unserer Version ist es ein „Hüttnmadl“. Was es damit auf sich hat, erfahrt ihr gleich.
„Koa Hiatamadl mog i net, hot koane dickn Wadl net,
i mog a Madl aus da Stadt, die dicke Wadl hot.“
So kannte ich den Text schon lange, bevor Hubert von Goisern ihn bekannt gemacht hat. Beim Volkstanz in Schwaben gehörte „das Hiatamadl“ zum Standardprogramm – mit eigener Tanzform und natürlich hat man auch diese vier Zeilen mitgesungen. Ich geb zu, ohne großes Nachdenken, man hat es halt gesungen. Wobei, ab und an, hatte ich schon so Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Textes. Eigentlich müsste doch ein Hiatamadl die „dickeren“ bzw. die strammeren Wadln haben, wenn sie so tagein, tagaus den Rindviechern auf der Alm hinterherläuft. So, wie man sich das halt vorstellt.
In der Variante, die wir euch heute vorstellen, heißt es allerdings „Koa Hüttnmadl mog i net“. Ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Unterschied. Es wird nicht ein Hiatamadl, sondern ein Hüttnmadl besungen. Ist das nicht das Gleiche bzw. einfach ein Hörfehler, werdet ihr euch jetzt vielleicht fragen?!
Nein, weder das eine, noch das andere. Hier wird wirklich ein „Hüttnmadl“ besungen und gibt dem Vierzeiler plötzlich eine andere Bedeutung. Um das zu verstehen, braucht es ein paar Informationen:
Aufgezeichnet wurde diese Variante in Wolfsberg, einem Dorf im Banater Bergland in Rumänien. Wolfsberg (rum. Garina) wurde 1828 von Siedlern aus dem Bayerischen Wald und dem Böhmerwald gegründet und liegt im Semenic-Gebirge, das ein Teil des Banater Berglandes ist. Das Straßendorf erstreckt sich über eine Länge von fast zwei Kilometern auf einem rund 1000 Meter hohen Bergkamm. Früher lebten hier ungefähr 1000 Menschen. Die Einwohner lebten von der Landwirtschaft, dem Holzschlag und von der Arbeit in den Fabriken in Reschitz.
Es war ein mühsames Leben unter schweren Bedingungen. Durch die Berglage konnten die kargen Felder nur per Hand bestellt werden. Maschinen gab es so gut wie keine. Erst in den 1970er Jahren wurde eine richtige Fahrstraße nach Wolfsberg gebaut. Das Dorf war also ziemlich abgeschieden und seine Bewohner auf sich selbst gestellt.

Das erklärt wohl auch, warum sich in Wolfsberg solch ein interessanter Liedschatz über so einen langen Zeitraum erhalten hat. Aber nicht nur der Liedschatz ist bemerkenswert sondern auch der Singstil – das ‚groußgoschate’ Singen, dass vor allem durch den markanten Bass eine ganz besondere Dynamik bekommt. Der Bass darf nie aufhören. Es zieht sich wie ein unendliches Band unter den Melodiestimmen dahin. Ganz besonders eindrucksvoll ist es natürlich, wenn viele Sänger und Sängerinnen zusammenstimmen. Beim Lied vom Hüttnmadl kann man diese Art des Singens sehr gut hören. Wir hoffen, es inspiriert euch, auch einmal ‚groußgoschat’ zu singen.
Die Wolfsberger singen nicht vom „Hiatamadl“, sondern vom „Hüttnmadl“. Und hier nun des Rätsels Lösung: Die Hüttenmadl waren die Töchter der Arbeiter in den Glashütten, die es im 19. Jahrhundert noch zahlreich im Bayerischen Wald gab, woher die Wolfsberger ja stammen. Die Glasmacherkunst war dort schon seit dem 14. Jahrhundert heimisch. Grund war der große Holzreichtum als Energiequelle. Und Quarz, der Hauptrohstoff, der etwa ein Drittel der Glasschmelze ausmachte, war als Urgestein überall vorhanden. Die ersten Hütten waren sogenannte Wanderglashütten, die nach Verbrauch des umliegenden Waldes an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden. Während anfangs eher Schmuckperlen und Butzenscheiben hergestellt wurden, kamen dann auch alle Formen von Gebrauchs- und Ziergläsern dazu. Der bayerische Wald ist bis heute für seine Glasmacherkunst berühmt.

Die Arbeit in den Glashütten war anstrengend und offensichtlich nicht besonders gut bezahlt. Die Arbeiter gehörten zur ärmeren Bevölkerungsschicht und plötzlich ergibt der Inhalt des Vierzeilers Sinn: „Koa Hüttnmadl mog i net, hot koane dickn Wadl net, i bring mar a Madl aus da Stadt, die dicke Wadl hot.“
Wenn man kein Geld hat, hat man meistens auch wenig zu essen. Da kann man auch keine dicken Wadl haben. Das ist logisch. Mit den Madln aus der Stadt waren wahrscheinlich besser situierte Bürgerstöchter gemeint. Der Vierzeiler bringt es so ganz plakativ auf den Punkt: Wer koane dicken Wadl hat, ist arm, wer welche hat, ist reich. Ob dieses Auswahlkriterium bei der Liebe das Ausschlaggebende sein sollte, wage ich zu bezweifeln. Pragmatisch ist es auf alle Fälle.
Da kommt mir auch meine Oma in den Sinn. Sie ist 1903 geboren und in ihrer Generation war Leibesfülle noch ein Ausdruck von Wohlhabendsein. Man konnte es sich leisten, gut zu essen und das konnte man auch ruhig sehen. „Die schaut guat aus!“ sagte sie immer, wenn jemand etwas beleibter war. So ändern sich die Zeiten. Oder vielleicht ist es ja auch nur eine Frage der Perspektive?
Aber nun ist es endlich Zeit zum Singen. Zum Groußgoschatsingen!
Wir wünschen euch ganz viel Freude beim Lauschen und Mitsingen dieser ganz besonderen Variante vom Hüttnmadl.
Besonders ist aber nicht nur das Lied, sondern auch der Ort, an dem wir singen – die Hiensölde in Mitterfels im Landkreis Straubing-Bogen. Die Hiensölde ist ein ganz besonderes Haus, vor allem ein ganz besonders altes. Bei diesem ehemaligen Kleinbauernhaus handelt es sich um einen der ältesten bekannten Blockbauten in Niederbayern. Bis auf einen in Bruchsteinmauerwerk errichteten Sockel wurde das Haus vollständig in Blockbauweise errichtet. Eine Untersuchung ergab für das Erdgeschoß eine Entstehung im Jahr 1436. Und vor einer dieser fast 600 Jahre alten Mauern stehen wir. Da wird man schon ganz ehrfürchtig. Wer hier wohl schon aus und ein gegangen ist? Aber ganz bestimmt hat noch niemand vor dieser Mauer groußgoschat gesungen!
Ach ja, der vornehme Blumenverehrer von unserem Titelbild, der sich offensichtlich auch für ein Mädchen aus der Stadt entschieden hat, prangt an einem Ausleger eines Geschäftes in Györ in Ungarn. Andre Schubert hat es auf einer Fahrradreise entdeckt. Danke, dass wir es verwenden durften.
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8 Antworten
Als externer und in Volksmusikthemen nicht unbedingt vertrauter, aber musikaffiner Leser finde ich die „Geschichten zu den Liedern“ immer interessant.
Ich schätze es, ein bisschen mehr darüber zu erfahren, wie sie vielleicht entstanden sind und was manchmal noch im Text verborgen ist, das nicht beim ersten Blick zu lesen ist.
Und wenn das Ganze auch noch kurzweilig geschrieben ist, ist es natürlich besonders ansprechend! Diesmal ist das wieder besonders gut gelungen! Vielen Dank!
Vielen Dank für den interessanten Beitrag und das wunderbar geschnittene Video! Es war mir wieder eine Freude!
Für mich endlich eine schlüssige Erklärung zum Hintergrund des Liedtextes. Besonders stark finde ich, wieviel Kraft und Klang man zu viert erschaffen kann. Also diese vier Sängerinnen und Sänger.
Vielen Dank wieder für dieses Lied. Toll gesungen und der Begleittext aufschlussreich.
Mich freuen alle Veröffentlichungen der „Liederlust“. Immer wieder eine Erweiterung meines Notenmaterials.
Danke dafür.
Das Hiatamadl in unserer Gegend war die Tochter des Dorfhirten. Die Aufgabe des Dorfhirten war es Rinder oder Schweine auf den Flächen zu weiden, die im Allgemeinbesitz waren. Dafür wurden die Hiata von der Bauernschaft entlohnt. Es lässt sich leicht ausrechnen, dass die Hiata Madl mit sparsamer, ja armer Ernährung aufwuchsen und daß das keine dicken Wadeln brachte..
Zudem genoß der Hiatastand wenig Ansehen.. wenn jemand verkracht war, seinen Hof nicht mehr halten konnte, so blieb als Ausweg oft nur der Einzug ins Hiarthaus.
Andererseits ist festzustellen, dass die Hiata unter einander stark vernetzt waren. Beim Heiraten blieben die Hiatakinder oft unter sich. So wurden Heiraten über größere Entfernungen gemacht. Auch der Stellenwechsel scheint irgendwie nach einer Regelung verlaufen zu sein. Gruß Sepp Thrä
Lieber Sepp, vielen Dank für die interessante Ergänzung. Und du hast natürlich völlig recht. Da hatte ich wohl ein zu modernes Bild von den heutigen Sennerinnen auf der Alm im Kopf. Ich kann mich sogar auch noch an das Hirtenhaus bei uns daheim im Dorf erinnern, im Prinzip das Armenhaus, in dem man hausen musste, wenn man sonst nichts hatte. Das hab ich allerdings nicht mit den Hirten in Verbindung gebracht. Vielleicht weil dort hauptsächlich die Heimatvertriebenen nach dem zweiten Weltkrieg eine neue Bleibe gefunden hatten.
Vielen Dank für die gute Information da kommen mir auch die ganzen Lieder über Leinenweber in den Sinn viele Grüße Gerhard
Neben dem schön gesungenen Lied finde ich vor allem den erklärenden Text sehr spannend und interessant. Vielen Dank dafür! Wieder ein sooo schöner Beitrag in der Liederlust.