Wer, so wie wir hier in Schwaben, seit drei Wochen im Nebel hockt, der wünscht sich nichts sehnlicher als ein paar Sonnenstrahlen. Da hilft nur noch die positive Sicht der Lage, denn es könnte noch schlimmer sein. Es könnte in Strömen regnen oder ein kalter Wind aus Osten durch alle Ritzen pfeifen. So wie der berühmte Böhmwind, der in unserem Lied ‚Aaf der boyrischen Grenz‘ besungen wird – diesen kalten Gesellen aus dem Osten, der manchmal sogar ganze Fuhrwerke und Wirtshäuser aus den Angeln hebt.
Der eiskalte Böhmische Wind ist ein Wetterphänomen, der das Klima in Ostbayern ganz maßgeblich prägt. Im Winter sorgt er oft tagelang für sehr kalte Bedingungen, da er kontinentalere und kältere Luftmassen mit sich bringt. Nicht ohne Grund werden die von ihm bestrichenen Gebiete im Bayerischen Wald auch als „Bayerisch Sibirien“ bezeichnet.
Man kann sich gut vorstellen, dass es in Zeiten ohne Zentralheizung und gut gedämmten Häusern, ohne Daunenjacke und warm gefütterten Stiefeln in diesem rauhen Klima ein recht hartes Leben war. Dies spiegelt sich auch in vielen überlieferten Liedern wider. So heißt es zum Beispiel: „Dreiviertel Jahr Winter, oa Viertel Jahr kalt, a Welt Gott verlassen, da grausats oam bald!“
Auf Wikipedia ist das Phänomen des Böhmischen Windes gut erklärt:
Hat sich östlich von Fichtelgebirge und Elstergebirge und vom Bayerischen und Oberpfälzer Wald in Böhmen (Tschechien) ein Hoch aufgebaut und westlich davon auf bayerischer Seite oder nördlich auf sächsischer Seite ein Tief, so vollzieht sich ein athmosphärischer Druckausgleich von Osten nach Westen. Zuerst ein ganz normaler Wind, gewinnt er auf seinem Weg über das böhmisch-bayerische Grenzgebirge hinweg immer mehr an Fahrt. Zu guter Letzt gleicht dieser Fallwind einem heulenden Sturm, der sogar Orkanstärke erreichen kann. Dabei scheint er in den Tälern, in denen er eine Art Sogwirkung bekommt, eine noch größere Zerstörungskraft zu haben als oben auf den Höhen. Im Jahr 1987 richtete der Böhmische Wind in den Wäldern Ostbayerns in einer einzigen Nacht einen Schaden von zehn Millionen DM an.
Bei solchen Windstärken erscheint es dann gar nicht mehr so abwegig, wenn, wie in unserem Lied, ein Fuhrmann samt Pferdefuhrwerk von der Straße weggeweht wird oder sogar gleich ein ganzes Wirtshaus samt der Schenke diesen Kräften zum Opfer fällt. Aber mit ein bisschen Galgenhumor lässt sich so ein Wetter dann gleich besser ertragen. Warum sonst heißt es im Lied: „Ganz recht is eam gschehng, warum fahrt er so staad.“
Aufgezeichnet wurde das Lied von der ‚boyrischen Grenz’ in der Variante, wie wir es singen, in Neuern-Eisenstein. Das liegt im Grenzgebiet vom Böhmerwald und Bayerischem Wald, an der heutigen Staatsgrenze zu Tschechien. Die deutschsprachigen Bewohner des Sudetenlandes, zu dem auch der Böhmerwald gehörte, wurden nach Ende des zweiten Weltkrieges vertrieben. Über 3 Millionen Menschen haben so ihre Heimat verloren. Viele haben sich im benachbarten Bayern angesiedelt. Man nennt die Sudetendeutschen auch den vierten Stamm Bayerns.
Ihre Lieder, Tänze und ihre Musik brachten sie mit in die neue Heimat und prägten damit auch stark das musikalische Leben in Bayern seit der Nachkriegszeit.
Einen dieser Schätze wollen wir euch heute vorstellen, das Lied von der ‚boyrischen Grenz’, wo es angeblich einen Fuhrmann weggeweht hat. Franz Seidl hat es in seiner Liedersammlung „Wo meine Wiege stand. Liederbuch des Heimatkreises Neuern-Eisenstein“ veröffentlicht (Kitzingen 1973). Der Münchner Volkskundler Wolfgang A. Mayer hat es mit zwei weiteren Versen ergänzt. Ihm ist auch zu verdanken, dass das Lied Eingang in die bayerische Volksliedpflege gefunden hat.
Zum Glück machte der Böhmische Wind Pause als wir auf dem Balkon von unserem Kollegen Franz Schötz in Haselbach im vorderen bayerischen Wald gedreht haben.
Wir wünschen euch nun viel Freude beim Zuhören und Mitsingen!
Alle Beiträge zur LIEDERLUST findet ihr HIER.
2 Antworten
Liebe Sängerinnen und Sänger, es macht mir immer wieder Freude Euch beim Singen zuzuhören und ich vermissen heuer den Adventskalender. Er hat mir immer sehr viel Freude bereitet. Herzliche Grüße Edeltraud Forster
Sehr geehrte Frau Held,
Wir haben uns bei einem Liederabend in Obergünzburg kennengelernt. Da ich ursprünglich aus Unterfranken stamme und ich mit meiner über 90 jährigen Mutter gerne alte fränkische Lieder zurück ins Gedächtnis singen würde, habe ich an Sue gedacht. Kennen Sie eine Quelle, aus der ich alte fränkische Lieder wieder hervorheben kann?
Vielleicht ähnlich dem Volksmusik Magazin?
Vielen Dank schon mal für Ihre Aufmerksamkeit
B.Müller