‚Dort oben am Berg, da steht a Haus.’ Dieser harmlose Satz ist der Beginn einer spannenden Geschichte über eine ausgeklügelte Verschwörung zwischen einer Müllerin und einem reichen Edelmann. Eine wichtige Rolle in diesem Drama spielt auch noch die Müllerstochter, mit deren Selbstbewusstsein die Mutter offensichtlich nicht gerechnet hat. Aber ich will nicht zu viel verraten. Lasst euch von dieser Geschichte überraschen.
Solche Lieder, die eine Geschichte erzählen, nennt man übrigens Balladen. Viele Erzählstoffe von Balladen knüpfen an mittelalterliche Literatur an. Es ist ein Liedtypus, der, laut Johann Wolfgang von Goethe, Episches, Lyrisches und Dramatisches miteinander verbindet. Beliebte Themen sind der Gegensatz zwischen Arm und Reich oder der Unterschied der Stände. Historische Ereignisse wie z.B. die tragische Geschichte der Agnes Bernauerin können genauso abgebildet werden, wie erfundene Schauergeschichten wie die des Mädchenmörders, oder auch literarische Stoffe der Antike wie die der Königskinder.
Durch die mündliche Überlieferung entstanden eine Vielzahl an verschiedenen Varianten der oftmals gleichen Erzählungen im ganzen deutschen Sprachraum. Zum Teil waren Balladentypen mit gleichem Inhalt in ganz Europa verbreitet.
Auch in Bayern wurden Balladen bis in unsere Tage gesungen und mündlich weitergetragen. Durch Wiederholungen beim Text kann man meist schnell mitsingen und durch die vielen Strophen entwickelt sich eine ganz eigene Dynamik.
Die Ballade, die wir euch vorstellen, ist unter dem Titel ‚Der Edelmann im Habernsack’ im ganzen deutschen Sprachgebiet verbreitet und zählt zum Typus der Schwankballade. In der Liedsammlung ‚Deutscher Liederhort’ von Ludwig Erk und Franz Magnus Böhme (Leipzig 1893) findet sich unter der Nummer 146 eine Reihe von Melodie- und Textvarianten dieser Ballade. Sie ist seit dem 17. Jahrhundert belegt und auch im niederländischen und dänischen Sprachraum verbreitet.
Dass wir uns für die Fassung aus der Liedsammlung „Thayaland“ entschieden haben, hat seinen Grund: der Liedsammler und Herausgeber des Buches ist Wenzel Max, der Oberlehrer der Schule von meiner Oma in Weißstätten in Südmähren. Dieser, im heutigen Tschechien gelegene Landstrich an der Thaya (nördlich von Wien direkt an der Grenze zu Niederösterreich) war das verlorene Paradies meiner Oma. In einem früheren Beitrag hab ich euch schon mal davon erzählt. Wenzel Max war nicht nur Lehrer in Weißstätten, sondern auch begeisterter Heimatforscher und sammelte im ganzen Umkreis Volkslieder und Tänze. Die Ballade vom Edelmann im Habernsack stammt aus Mödritz (Modřice) einer Gemeinde in der Nähe von Brünn, die bis 1945 hauptsächlich von Deutschen besiedelt war. Ein Viertel der Bevölkerung waren Tschechen.
Mich hat natürlich brennend interessiert, ob sie auch noch Lieder aus ihrer alten Heimat kennt, aber da konnte sie mir nicht weiterhelfen. Sie war zwar eine wunderbare Köchin, aber leider konnte sie nicht besonders gut singen. Und so bin ich auf der Suche nach südmährischen Liedern auf die Liedsammlung von Wenzel Max gestoßen, mit dem sich der Kreis zur Heimat meiner Oma dann doch wieder geschlossen hat.
Für unsere Aufnahme haben wir auch einen passenden Ort gefunden: die wunderschön gelegene Mühle in Wollbach bei Zusmarshausen. Wir bedanken uns ganz herzlich bei Wolfgang Miller, dass wir dort filmen durften.
Aber nun ist es wirklich Zeit zum Singen! Viel Vergnügen mit der Ballade vom Edelmann im Habernsack.
Wir wünschen euch nun viel Spaß beim Lauschen, Lernen und Mitsingen!